Kälbertransporte

Der Weg der überschüssigen Kälber

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Ohne Kälber keine Milch. Jedoch haben die Tiere mit der Geburt bereits ihren Zweck in der Milchwirtschaft erfüllt. Schon vor der Entwöhnung erwartet die Kälber der erste Transport. Für viele von ihnen endet die Odyssee Tausende Kilometer entfernt.

Bringt eine Milchkuh ein männliches Kalb zur Welt, erwartet dieses kurze Zeit nach der Geburt der erste Transport. Ungeachtet dessen, dass sie dann weder entwöhnt sind noch ihr Immunsystem sich stabilisiert hat, werden Kälber in der EU bereits ab einem Alter von 14 Tagen über weite Strecken transportiert, in Deutschland ab 28 Tagen. Der Grund für die frühzeitigen Transporte, deren Rechtmäßigkeit im Widerspruch zu Erkenntnissen der Tiermedizin steht, nach denen derart junge Tiere grundsätzlich nicht transportfähig sind: Die Tiere sind nicht rentabel und werden möglichst schnell weiterverkauft. Da auch mit ihrer Mast kaum Gewinn zu erwarten ist, werden sie in großer Zahl außer Landes transportiert. Nach Umwegen enden viele der deutschen Rinder schließlich auch in Schlachthäusern von Tierschutz-Hochrisikostaaten.

Kälber als Überschuss der Produktion

Die männlichen Milchkälber sind – ähnlich der männlichen Küken der Legehennenindustrie, die bis 2020 völlig legal routinemäßig nach dem Schlupf getötet wurden – wirtschaftlich betrachtet kaum mehr als ein überschüssiges Nebenprodukt der Produktionskette. Die auf maximale Milchleistung spezialisierten Hochleistungsrassen eignen sich mit der geringen Fleischmenge nur bedingt zur Mast. So sind lediglich die weiblichen Kälber für die Produktion von Interesse, von denen ein Teil aufgezogen wird, um ebenfalls Milch zu erzeugen. Der Großteil aller Milchkälber hat mit seiner Geburt bereits seinen wirtschaftlichen Zweck erfüllt: den Milchfluss aufrechtzuerhalten. Denn für maximale Milchleistung müssen die Kühe jedes Jahr ein Kalb zur Welt bringen.
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Trennung von der Mutterkuh

Kurz nach der Geburt werden Muttertier und Kalb, die sonst eine enge Bindung pflegen würden, voneinander getrennt – ein traumatisches Ereignis für beide Seiten. Die Kuh wird gemolken und das Kalb in den folgenden Wochen mit angewärmtem Milchaustauscher ernährt. Im Anschluss wird die Menge an Milchaustauscher für die Umstellung auf Raufutter schrittweise reduziert. Bis die Umstellung erfolgt ist, bleibt das Kalb auf die spezielle Flüssignahrung angewiesen. Auch die sogenannte immunologische Lücke, die es anfällig für Krankheiten macht, schließt sich erst im Alter von acht bis zwölf Wochen.

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Transportfahrzeuge für Kälber ungeeignet

Ein Transport von jüngeren Tieren birgt große Gefahren für das nicht ausgereifte Immunsystem und macht mehrmals täglich eine Versorgung mit angewärmtem Milchaustauscher notwendig. Doch dies ist während der Fahrt schlichtweg technisch nicht vorgesehen.

Es existieren keine Transportfahrzeuge, die über eine entsprechende Tränkanlage zur Ernährung von jungen Kälbern und Lämmern verfügen. Da die verbauten Wassertränken nicht für Milchaustauscher geeignet sind, können die hochsensiblen Tiere an Bord der Transporter höchstens mit Wasser oder Elektrolytelösung ihren Durst stillen.

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Kälbertransporte in der EU

Während Schweden als einziges Land der EU den Transport nicht entwöhnter Kälber untersagt hat, werden aus anderen Mitgliedstaaten jährlich rund 1,4 Millionen Kälber grenzüberschreitend in der EU transportiert. Für etwa 580.000 von ihnen dauert der Transport sogar länger als acht Stunden. Die Tatsache, dass die Tiere in Etappen von Sammelstelle zu Sammelstelle transportiert werden, bis sie am endgültigen Ziel angelangen, erschwert eine Nachverfolgbarkeit der Tiere vom Startpunkt bis zum letzlichen Verbleib.

Auf dem Seeweg in Tierschutz-Hochrisikostaaten

Viele der Tiere werden, teils über Umwege, nach Spanien verbracht, dem Zentrum für Kälbermast in Europa und zugleich Großexporteur von Jungbullen in Drittstaaten. Nach mehrmonatiger Mast werden die Tiere im Alter von knapp einem Jahr als Jungbullen gehandelt. Diese werden aus Spanien in großer Zahl in Drittstaaten exportiert. Im Jahr 2021 importierte Spanien rund 22.400 Rinder aus Deutschland und exportierte im selben Jahr über 183.000 Rinder in Drittstaaten wie Algerien, Libyen, Marokko, Saudi-Arabien und in den Libanon. So werden auch Tiere, die ursprünglich aus Deutschland stammen, in Tierschutz-Hochrisikostaaten verbracht. Dass Rinder aus Deutschland Langstrecken- und Schiffstransporten ausgesetzt sind und am Ziel unter grausamen Bedingungen getötet werden, ist also nicht allein der Erzeugung von Fleisch und Leder geschuldet, sondern steht auch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem hohen Milchkonsum.

©Jo-Anne McArthur / Eyes On Animals / We Animals Media